Erinnert sich noch jemand an die „True Crime“-Spiele für die PS2? Darin schlüpfte man in die Rolle eines Polizisten und durfte in einer Großstadt wie Los Angeles oder New York für Ordnung sorgen. Ganz im Stil der populären Open-World-Spiele der „Grand Theft Auto“-Reihe. „The Precinct“ basiert ebenfalls auf diesem Konzept, verlagert die Perspektive jedoch in eine Draufsicht von schräg oben und bindet wesentlich mehr Polizeiarbeit in das Gameplay mit ein. Eine echte Simulation ist es trotzdem nicht, aber auch kein flaches Actionspiel. Was den Spieler bei „The Precinct“ erwartet, klärt unser Review.
Ein Tag im Leben eines Officers
Zunächst erfolgt die Schichtplanung: Was soll heute erledigt werden? Möchte man Parksünder in einem Stadtteil aufspüren oder lieber den Verkehr überwachen? Wie sieht es mit Drogenhändlern oder Einbrüchen aus? Geht man zu Fuß auf Streife oder verbringt man seine Zeit lieber am Steuer eines Autos? Oder hat man vielleicht Lust auf die Überwachung aus der Luft in einem Hubschrauber? Abwechslung ist jedenfalls geboten. Auch die Länge und die Tageszeit variieren – von 6- bis 10-stündigen Schichten ist alles dabei. Zudem hat man meistens einen Partner zur Seite, doch dazu später mehr.
Wenn man zu einem Notruf gerufen wird und den Täter gestellt hat, merkt man schnell, dass das Verhören und Durchsuchen von Verdächtigen einen Großteil der täglichen Polizeiarbeit ausmacht. Erst danach sollte entschieden werden, welche Tat der festgesetzten Person angelastet wird und ob eine Verhaftung vorgenommen oder doch nur ein Bußgeld verhängt wird. Wer diese Entscheidungen nicht selbst treffen möchte, kann sie glücklicherweise auch an seinen Kollegen delegieren. Für jede richtige Aktion sammelt man Erfahrungspunkte, für jede falsche Vorgehensweise gibt es hingegen Abzug. Am Ende einer Schicht werden die Punkte zusammengezählt und man wird mit den anderen Streifen im Revier verglichen.
Sobald man genügend Erfahrungspunkte gesammelt hat, steigt man einen Rang auf und darf einen Punkt in Upgrades investieren. Soll es mehr Gesundheit oder mehr Munition sein? Oder lieber die Fähigkeit, Straßensperren errichten zu lassen? Oder ein Auto, das etwas mehr einsteckt? Mit der Zeit wird der Alltag dadurch leichter. Aber auch an einem ganz normalen Tag kann es zu einer Bandenschießerei kommen, die schnell eskaliert. Aber das ist noch nicht alles. In „The Precinct“ gibt es natürlich auch eine Hintergrundgeschichte. Während der Schichten sammelt man Beweise, um die Bandenoberhäupte dingfest zu machen. Dass diese sich nicht so einfach ergeben, versteht sich von selbst.
Irgendwas fehlt…
Das Schichtsystem mit seinen Standard-Patrouillen ist clever umgesetzt. Es sorgt für einen großen Wiederspielwert und überlässt dem Spieler die Entscheidung, was er machen möchte. Auch die wenigen speziellen, handgemachten Fälle fügen sich gut ins Bild ein. Auch wenn etwas mehr und vor allem umfangreichere Story-Missionen nicht geschadet hätten. Die Entwickler hatten alle nötigen Zutaten in der Hand: Mord an einem Polizeichef, der frischgebackene Rookie Nick Cordell Jr., der wissen will, warum sein Vater starb, Kollegen, die teilweise Dreck am Stecken haben, und so weiter. Leider wird das Ganze nur marginal genutzt. Es gibt kaum Dynamik auf dem Revier und zwischen den Kollegen keine Reibereien oder Freundschaften. Die „wichtigen” Verhöre laufen dann auch noch absolut simpel und ohne wirkliche Entscheidungen ab.
Die Steuerung wurde gut an das Joypad angepasst und ist logisch strukturiert. Allerdings bereiten manche Aspekte doch Probleme, beispielsweise die Ausdauer-Anzeige. Denn nach kurzen Sprints gerät man unweigerlich außer Atem und muss im richtigen Moment eine Taste drücken, um wieder zu Kräften zu kommen. Im Gegensatz dazu interessieren sich die KI-Verdächtigen überhaupt nicht für Physikgesetze. Sie flitzen wie Leistungssportler durch die Gassen, und auch die KI-Autos beschleunigen mit zehnfacher Geschwindigkeit und stecken ebenso viel Schaden ein. Natürlich darf man Verstärkung anfordern, zumindest, wenn man eine Weile hinter dem Verdächtigen hergefahren ist. Dann füllt sich ein Balken im oberen Bildschirmbereich und es werden Optionen wie Einsatzwagen, Straßensperren, Nagelbänder und Helikopter freigeschaltet. Leider erweisen sich die Kollegen nicht immer als hilfreich, sondern verursachen mitunter ein noch größeres Chaos. Auch der eigene Partner agiert selten selbstständig. Besonders ärgerlich ist es, wenn zwei Verdächtige fliehen und man nur einen von ihnen verfolgen kann. In der Regel entkommt der Andere dann immer.
Die optionalen Rennen in Averno City sind miserabel, weil es sich nicht um Rennen im eigentlichen Sinne handelt, sondern um Death Races, bei denen absolutes Chaos herrscht. Um dort zu gewinnen, benötigt man viel Geduld und vor allem Glück. Die Checkpoint-Herausforderungen auf Zeit, die ebenfalls in der Stadt verteilt sind, sind wesentlich besser. Außerdem gibt es Sprünge über Rampen und Artefakte, die man finden kann. Dazu muss man auch kleinere Rätsel lösen. Ohne den Detektor, den man irgendwann freischaltet, sucht man allerdings vergeblich.
Die Straßen von Averno City
Grafisch kann sich „The Precinct” wirklich sehen lassen. Die Entwickler haben den verruchten Look einer amerikanischen Großstadt in den Achtzigern sehr gut eingefangen. Neben dunklen Gassen und verwahrlosten Hinterhöfen gibt es riesige Wohnkomplexe und schäbige Hafenanlagen. Überall leuchtet Neonlicht. Die Wettereffekte und der Tag-Nacht-Wechsel lassen vor allem die Verfolgungsjagden bombastisch aussehen. Auch die Animationen und die realistische Physik sind gelungen. Zäune können umgefahren werden und die amerikanischen Schlitten steuern sich recht realitätsnah – wie fahrende Badewannen. Für den Spielfluss wäre jedoch eine direktere Fahrzeugsteuerung und eine nicht ganz so penible Physik besser gewesen. Dadurch können sich Verfolgungsjagden auch mal richtig hinziehen. Zudem lässt das Zielsystem mit seinen realistischen Sichtachsen zu wünschen übrig. In einem isometrischen Spiel, das auf Echtzeit-Action setzt, sollten Benutzerfreundlichkeit und flüssiges Spielen immer Priorität haben. Enttäuscht war ich von der nicht vorhandenen DualSense-Unterstützung. Es gibt weder Rumble noch andere Gimmicks, was schade ist. Immerhin weiß die Akustik mit sehr guter englischer Sprachausgabe und einem fetzigen Retrowave-Soundtrack zu gefallen. Die deutschen Untertitel sind zudem immer gut lesbar.
FAZIT:
Ich hatte mir von „The Precinct“ etwas mehr erhofft. Meiner Meinung nach fehlt dem Spiel sowohl Feinschliff als auch eine gute Story bzw. Nebenmissionen. Die nicht zufallsgenerierten Einsätze lassen sich an einer Hand abzählen. Gerade hier hätte das Spiel Akzente setzen können, indem es typische polizeiliche Aufgaben wie Streife fahren, Drogendealer festnehmen oder Strafzettel ausstellen mit dem Flair amerikanischer Polizeifernsehserien verbindet. Die Zutaten sind vorhanden, es fehlt nur ein guter Koch. Dass die Steuerung nur knapp über dem Durchschnitt ist, zeigt sich vor allem bei den Feuergefechten, die nicht richtig überzeugen. Trotzdem gefällt mir „The Precinct” von allen „Polizei-Simulationen” am besten, weil es eben mehr Videospiel als schnöde Realität ist. Zum richtigen Preis kann man einen Blick riskieren, die Erwartungen sollten aber nicht zu hoch sein.
[ Review verfasst von .ram ]
[ Gespielt auf einer PS5 Pro mit 4K HDR TV ]
PS: Das Review wurde vor dem neuesten Update (siehe ONPSX News) verfasst. Durch den neuen Patch kann man Lackierungen der Fahrzeuge ändern, der Spielfigur neue Outfits verpassen und nun auch alleine auf Streife gehen – das war wohl einfacher zu realisieren, als eine gute KI-Routine. Auswirkungen auf die Wertung hat das Update somit nicht.
Pluspunkte:
Inspiriert von amerikanischen Polizei-Serien der 80iger
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